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An Silvester auf den Friedhof

Der Jahreswechsel hält viele Veränderungen bereit. Jeder will Dinge zu Ende bringen um das neue Jahr aufgeräumt zu beginnen. Wir treiben und in den letzten Monaten zu einer sportlichen Höchstleistung an um auch ja nichts liegen zu lassen, denn im neuen Jahr muss alles anders werden. Es muss noch besser werden. Ich bin da keine Ausnahme.

 

 

Keine Veränderung trotz Neuanfang

 

Jeder Sterbefall bringt Veränderung. Egal wie das Jahr bisher gelaufen ist, wenn jemand verstirbt, will man nur noch mit dem vergangenen Jahr abschließen. Tatsache ist aber, dass auf den 31.12. nur der 1.1. folgt und sich rein gar nichts daran verändert, wie man sich mit dem Verlust fühlt. Der Schmerz wird in solchen Momenten sogar zeitweise präsenter. Es ist das erste Silvester ohne sie. Kein gemeinsames Anstoßen und auch eine Person weniger, die ich um Mitternacht umarme. Für meinen Mann war es auch der erste Geburtstag ohne seine Mutter, da er am Silvesterabend geboren wurde. Erste Male im Trauerjahr die besonders aufwühlen.

 

 

Ruhe statt Feuerwerk

 

Um mit seiner Mutter verbunden zu sein, gingen wir am Nachmittag des 31. Dezembers auf den Friedhof. Auf dem Weg dorthin haben wir bereits die laute Geräuschkulisse wahrgenommen.  Erste Ungeduldige schossen Raketen ab. Böller explodierten in der Entfernung und das schrille Pfeifen von Feuerwerksbatterien betäubte unsere Ohren. Die Geräusche ebbten natürlich auf dem Friedhof nicht ab, doch mit dem ersten Schritt durch das Eingangstor fühlten wir uns wie unter einer behütenden Glaskuppel. Es war als könnten wir die Außenwelt fernhalten um diesen Moment bewusst wahrzunehmen. Ganz ohne Störungen. Der Friedhof kam mir noch nie so friedlich vor. Vielleicht weil die Hektik sich bis dorthin nicht ausweitete? Keine Friedhofsbesucher die gestresst das Laub vom Grab harkten. Keine älteren Damen, die pflichtbewusst die Gräber der Familie und noch die der Nachbarn pflegten. Ruhe. Also wenn man die Hintergrundballerei ausblenden kann.

 

 

Einen Sekt für Muttern

 

Am Grab angekommen erzählten wir ihr von den vergangenen Tagen. Und ich hörte in meinen Ohren geradezu, wie sie immer sagte: „Lasst uns anstoßen!“ Zu besonderen Anlässen musste es bei ihr immer ein Gläschen Sekt sein und so bekam sie auch diesmal von uns ihre eigene Piccolo Flasche. Gemeinsam haben wir am Grab auf das Jahr angestoßen. Auf die gemeinsame Zeit, den liebevollen Abschied und die verbleibenden Erinnerungen. Sie bekam ihren Sekt dann von unserer Tochter in einem Rutsch auf das Grab geschüttet. Hätte sie bestimmt lustig gefunden. Es fühlte sich gut an, die alten Rituale neu umzusetzen.

 

 

Silvester feiern, nur anders

 

Die Rituale, die früher ein fester Bestandteil des Familienlebens waren können weiter existieren. Halt nur anders. Muttern bekam trotzdem ihr Sektchen. Das Raclette haben dieses Jahr wir ausgerichtet und das Neujahrsessen gab es dann beim Vater. Was ihr wichtig war lebt weiter, da es auch uns wichtig geworden ist. Ein Teil von uns. Mein Mann sagte an diesem Abend zu mir: „Sie ist nicht weg." Und da gebe ich ihm Recht. Ich sehe sie in unserer Tochter. Ich sehe sie in unserem Leben. Ich sehe sie in unserem Denken und Handeln. Sie hat nur einen neuen Platz bekommen.

 

Ich hoffe für uns alle, dass wir uns nicht durch solche Feiertage zu sehr verunsichern lassen. Wir nur noch froh sind, sie überstanden zu haben und alles hinter uns lassen können. Ich hoffe, dass wir mehr darauf achten, was wir alles bei uns behalten können. Oder aber in abgewandelter Form neu beleben können.

 

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