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Ali Baba und die Totenfürsorge

„Mama, nähst du auch Tote wieder zusammen?“… Öhm, ja. Naja. Kinder können grausam sein. Sie stellen uns gnadenlose Fragen und wir müssen zusehen, wo wir eine kindgerechte Antwort herbekommen. Der Elternzonk. Bis es zu dieser Frage kam, gab es natürlich eine Vorgeschichte.

 

Eine "gute" Nachtgeschichte

 

Jeden Abend darf ich meiner 5Jährigen Tochter eine Geschichte vorlesen. Gestern Abend war es dann ein kürzlich ausgeliehenes Buch aus der Bibliothek. Ali Baba und die vierzig Räuber. Soweit so gut. Bekannte Geschichte.


Ein armer Mann entdeckt eine mit Schätzen gefüllte Räuberhöhle. Durch einen Zufall belauschte er die kriminellen Inhaber der Reichtümer und kennt somit nun auch das Passwort um sich Zutritt zur Höhle zu verschaffen. Gelegenheit erkannt und genutzt. Diese weggefundene Finanzspritze blieb der Familie allerdings nicht verborgen. Der gierige Bruder des armen Mannes wollte sich nun seines Naturells entsprechend auch am Schatz bedienen, war aber nicht in der Lage, sich das Passwort zu merken. Als schließlich die eher antisozialen Höhlenbewohner auf den Eindringling stießen, blieb ihnen keine andere Wahl, als ihm das Leben zu nehmen. Aus welchen Gründen auch immer, hat dies alleine nicht ausgereicht und somit musste der Verstorbene auch noch viergeteilt werden.

 

Lese ich überhaupt weiter?

 

Spätestens an dieser Stelle haderte ich mit mir, ob ich überhaupt weiterlesen solle. Nun gut. Ich habe es dann durchgezogen. So halbe Sachen sind ja auch nicht schön. Um den friedlichen Schein für die Dorfgemeinde zu wahren, muss schließlich ein blinder Schuster den Verstorbenen wieder zusammennähen. Somit kann dieser mit allen ortsüblichen Rieten auf dem Dorffriedhof beigesetzt werden. Durch eine überqualifizierte Bedienstete nimmt die Story eine positive Wendung. Alle Räuber segnen das Zeitliche und Ali Baba samt Familie können wohlhabend ihr weiteres Leben fristen.

 

Jetzt fängt es an mit Arbeiten.

 

Die Geschichte ist zu Ende und es tritt eine sehr ungewohnte Ruhe ein. Nein, die Kleine ist nicht eingeschlafen. Es arbeitet im Kopf mit geradezu sichtbarer Anstrengung. Und dann gehen die Fragen los. „Mama, du kannst doch nähen?“ Ja. „Und du hast auch Tote hübsch gemacht?“ Ja. „Hast du da auch Tote zusammengenäht?“ Klar. Wenn die eine Wunde, oder sichtbare Verletzung haben, warum sollte diese nicht genäht werden? Dein Papa hat sich auch mal in die Handfläche geschnitten. Diese Wunde wurde dann von einem Arzt wieder genäht. Bei Lebenden machen das Ärzte, damit die offene Stelle wieder heilen kann. Bei einem Verstorbenen nähen die Bestatter, damit die Angehörigen gut Abschied nehmen können. „Ach so. Ich möchte bitte noch was trinken.“ Thema abgehakt. So einfach kann es sein. Bei manchen Fragen fällt es mir leichter eine hoffentlich passende Antwort zu finden. Bei anderen Fragen ist es schwerer. Grundsätzlich aber gilt Ehrlichkeit kindgerecht verpackt. In jeder Lebenslage. Aber noch wichtiger, in jeder Ausnahmesituation.

 

Bei mir bleibt nur die Frage offen, ob die Geschichten aus der eigenen Kindheit wirklich so grausam sind, oder ob sich die Ansichten der Eltern von heute nur übermoralisiert haben?

 

Beste Grüße,

Maria Förster

 

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